Besteigung Ojos del Salado
Besteigung des höchsten Vulkans der Erde ...
Buenos Aires, Córdoba und immer weiter geht es nach Westen; aus den Städten lockt es unsere kleine Schar in die Berge. In Catamarca dämmert der Morgen und vor uns erheben sich schroff die ersten Kämme der Zentralanden, bald erleuchten die ersten Sonnenstrahlen die kahlen Spitzen. Auf staubigen Straßen erreichen wir nach langer Busfahrt Fiambalá und ergänzen ein letztes Mal die Vorräte. Wir statten Señor Reynoso einen Besuch ab. Er kennt den Ojos del Salado wie kaum ein anderer und steht uns mit Rat und GPS-Daten zur Seite. Nun wissen wir, wo man Wasser findet und wie fahrlässig schlecht in unsrer vom deutschen Alpenverein herausgegebenen Karte die Routen und Gewässer verzeichnet sind. Das dargestellte Relief wird sich später zum Glück als präzise und zuverlässig erweisen. Pflichtbewusst melden wir uns auch wie empfohlen bei der örtlichen Polizei – verlorene Zeit. Die lähmende Bürokratie erfordert Geduld oder Humor. Vielleicht auch beides. Der adoleszente Nachwuchspolizist mit der Harry-Potter-Narbe macht den Anschein, als habe er erst bei der Gendarmeria Lesen und Schreiben gelernt, so stockend verläuft die Aufnahme unserer Daten, die dann in einem endlosen Prozess mit suchenden Fingern in den Rechner gehackt werden. Der Autoritätsanspruch der Staatsrepräsentanten steht im Gegensatz zu ihrem Wissen über diesen Bergriesen ihrer Heimat. Nachdem wir bereitwillig Nachhilfe in Geographie gegeben haben, wissen die werdenden Männer, dass wir den höchsten Vulkan der Erde erklimmen werden und wir, dass man sich diese Formalien hätte sparen können. Nach drei Stunden dürfen wir unterschreiben, Pedro als Übersetzer, und verlassen Fiambalá. Im verglühenden Abendrot bringt uns der Fahrer durch atemberaubende Felswelten entlang der Straße, die zum Paso San Francisco führt, hinauf zur Schutzhütte Cazadero Grande auf 3300m, dem eigentlichen Beginn des Vorhabens. Über uns sehen wir unzählige Sternschnuppen über den Südhimmel sprühen, bis wir glücklich einschlafen.
Der Rio Cazadero Grande wird idyllisch gesäumt von einem schmalen grünen Streifen, den man in dieser Steinwüste niemals erwartet hätte. Ihm folgen wir in nordwestlich Richtung zwei Tage – am ersten verbrennt uns erbarmungslos die Sonne, die Nacht des zweiten schneit uns ein. Immer wieder erinnern uns die verblichenen Kadaver von Pferden oder Vicuñas an die Härte dieser Gegend. Die Extreme des Klimas erleben wir bereits. Majestätisch schweben Kondore hoch über unseren Köpfen. Mittlerweile bewegen wir uns oberhalb von 4000m. Kopfschmerzen und Leistungsabfall zeigen, beim einen mehr beim andren weniger, erste Anzeichen der Höhenkrankheit. Doch kommen wir passabel voran und akklimatisieren gut, sodass es vorerst bei keinem zu gravierenden Verschlechterungen kommen wird, sondern die Beschwerden trotz den folgenden Aufstiegen eher auf gleichem Niveau stagnieren. Jedenfalls hatte man eher schlimmeres erwartet, es geht uns also eigentlich gar nicht schlecht. Am 26. Februar verlassen wir den Rio Cazadero Grande bei ‚Aqua Caliente’, seinen heiß im schmelzenden Morgenschnee dampfenden Quellen. Abermals sticht die Sonne auf uns herab. Mittags suchen wir Schatten unter der aufgespannten Bodenplane unseres Hilleberg-Zeltes; wohingegen beim Abendessen wieder Flocken fallen. Morgens ist das Lager gänzlich eingeschneit. Tag vier bringt uns im sonnengefluteten Nebel bald über die 5000m. Nach dem Mittagessen überschreiten wir Portez, die Passpforte bei eisigem Sturm. Die atemberaubend schöne Strecke zieht sich immer zäher in die Länge bis wir schließlich nach ‚El Arenal’ gelangen, der Sandgrube, wo bei lausigen Temperaturen, umgeben von beeindruckenden Büßereisformationen, bald die Zeltplanen im Abendwind flattern. Der fünfte Vormittag dient lediglich der weiteren Akklimatisierung. Nachmittags erkunden wir ohne Gepäck den Weg durch einen kleinen Canyon zu einem potentiellen Basislager. Am folgenden Tag schleppen wir unsere Ausrüstung dieses enge Tal empor auf 5750m, um am Fuße des Berges die Zelte sturmfest aufzuschlagen.
Auszug aus dem Fahrtenbuch vom 7. Tag, 2. März 2009
Als ich (Friedjoff) aufwache hat Mathis den Porridge schon aufgesetzt. Nun bin ich an der Reihe und um kurz nach fünf Uhr kommen auch Richard und Pedro aus ihren Schlafsäcken. Sie hatten gestern beim „Schnicken“ gewonnen. Nach einer knappen halben Stunde machen wir uns bei sternklarem Himmel auf den Weg. Obwohl wir alle Kleidungsstücke angezogen haben, wird uns bei –20 Grad auch beim Laufen nicht warm. Zunächst geht es durch Büßereis über einen weiten Geröllkegel zu einem großen, recht weiten Schneefeld. Irgendwann wird das Laufen im Schnee zu mühsam, sodass wir auf ein Felsband wechseln. Zeitweise hat Pedro erhebliche Probleme mit seinen kalten Füßen in den schlechten Schuhen und ist kurz vor dem Rückzug. Doch als sich endlich die Sonne im Osten ankündigt, bessert sich auch die Stimmung. Als es schon eine Weile hell ist erreichen wir schließlich ein Plateau und damit das Hochlager auf 6400m. Wir machen nur kurz eine Müsliriegelpause und überqueren anschließend durch teilweise tiefen Schnee die Ebene zum nächsten langen aber letzten Anstieg. Der Hang ist durchsetzt von kleinen Schneefeldern, besteht ansonsten aber aus Geröll und Fels. Vor allem Mathis, Richie und ich haben immer mehr mit der dünnen Luft zu kämpfen. Himmel, Zeit und Anstieg scheinen sich in die Ewigkeit zu ziehen, wenn man nur einige kraftlose Schritte ohne innezuhalten machen kann und die 400 verbleibenden Höhenmeter kaum weniger werden. Je näher wir dem Gipfel kommen, desto langsamer werden wir und umso länger die Pausen. Teilweise fühle ich mich kurz vor dem Ersticken, weil das Atemholen selbst soviel Kraft und Sauerstoff kostet. Kurz vor dem Gipfel wartet Pedro und spornt uns an. Vorbei an Aluminiumteilen, die wohl die Reste eines hier zerschellten Flugzeugs sind, geht es die letzten felsigen Höhenmeter zum Ziel. Alle paar Schritte muss man sich auf einen Stein setzen um Luft zu holen. Eine unbeschreibliche Kraftlosigkeit legt den Körper lahm. Mathis fällt immer mehr zurück und bleibt schließlich erschöpft sitzen. Erst als der freudig triumphierende Jubel von Pedro und kurz darauf Richard vom Gipfel zu vernehmen ist, sammeln wir neue Kraft für die letzten Meter. Wir umarmen uns glücklich auf 6893m und genießen den unglaublichen Rundumblick bei wolkenlosem Himmel. Das obligatorische Gipfelfoto und einige Filmaufnahmen werden gemacht sowie Pedros Messungen zum Stand unserer Höhenkrankheit durchgeführt. Für mich bleibt die Zeit auf dem Gipfel in einer etwas verschwommenen, traumhaften Erinnerung zurück, ohne dass ich wirklich begriffen hätte, wo wir angekommen sind. Bald beginnen wir gegen 14Uhr den harten Abstieg, der sich zäh in die Länge zieht, auch wenn wir nun nicht mehr so viele Pausen brauchen. Das Eis in den Plastikflaschen, die wir in unseren Jackentaschen tragen, schmilzt immer mehr, sodass wir genug Trinkwasser haben. Auch die Müsliriegel reichen aus, da wir auf der Höhe kaum Hunger verspüren. Der Part über das lange Couloir hinab zum Basislager wird zur Tortur, weil der Schnee zu weich zum Rutschen ist und man immer wieder bis zum Bauch einbricht. In einem ähnlichen Zustand wie auf dem Gipfel liege ich schließlich bei den Zelten. Während wir unser Cous-Cous-Abendessen kochen ziehen wieder Wolken auf, die einige Schneeflocken vor sich hertreiben. Die Zeltplane schlägt im heftigen Wind und trotz der großen Anstrengungen wird es wieder eine unruhige Nacht.
Oft leicht bergab, manchmal aufsteigend, meist jedoch auf ebenem Gelände umrunden wir am folgenden Tage unseren Ojos del Salado östlich und sehen immer wieder neue Facetten des Berges. Der Gegenwind peitscht uns den Sand ins Gesicht, zehrt uns aus. Beim Mittagessen knirscht jeder Biss – wir nennen es ‚extra crunchy’. Doch geht es dann bald wunderschön bergab, Chile und der reicheren Luft auf 5000m entgegen. Im Talboden finden Pedro und Richard eine wunderschöne kleine Lagune, die klar und tiefgrün in der Abendsonne vor uns liegt. Sie lädt uns unwiderstehlich zum Lagern ein. Es folgt am neunten Tourentag der letzte Anstieg zu einem schroffen Pass empor. Oben sind wir überglücklich, dass es von nun an nur noch bergab gehen wird, satten Sauerstoffgefilden entgegen… Irgendwann spuckt uns das Tal, das wir nordwärts abgestiegen sind, auf einer weiten Ebene aus. Fels, Schnee und Eis sind dem heißen Sand der Atacamawüste gewichen, der Bach längst versiegt. Wir haben höchstens bis zum Nachmittag des folgenden Tages Wasser, das es erst wieder in unmittelbarer Nähe der Laguna Verde geben wird. Einen Großteil der Strecke dorthin in einem Gewaltmarsch zurücklegend, laufen wir endlos weiter, auch als die Sonne lange schon untergegangen ist. Der Mond hat seine Bahn bereits weit über den prachtvollen Nachthimmel gezogen, als wir schließlich in seinem milden Licht in unseren Schlafsäcken liegen. Nach den Schneepassagen, Sandflächen und Geröllhalden der letzten Zeit ist es am zehnten Tage eine wahre Wohltat mit der Passstraße festen Boden, aber auch ein Stück Zivilisation unter den wunden Füßen zu spüren, obwohl immer noch so weit entfernt von jeder menschlichen Kultur. Nach einigen Kilometern und einem Schwarm Flamingos erreichen wir die Vulkanquellen. Endlich Sauberkeit! Wir verbringen den Nachmittag in den heißen Becken. Ab und an springt einer in die eiskalte Laguna Verde, dessen Salzgehalt dem Toten Meer Konkurrenz macht. Wir lecken unsere Wunden. Wir müssen am folgenden Tag bis mittags an der Straße warten, bis ein Auto vorbeikommt, in ihm die ersten Menschen seit zehn Tagen. Stunden danach hören wir glücklich die zischenden Bremsen eines von Westen kommenden Trucks und sitzen wenig später in seinem Führerhaus hoch über der Straße. Am argentinischen Grenzposten legalisieren wir, Dank einiger Vorwände und der gönnerhaften Hilfsbereitschaft des Chef-Grenzhüters in Trainingsanzug und Chucks, unseren Aufenthaltsstatus. Mathis und Pedro entschwinden mit dem Laster nach einem kurzen herzlichen Abschied gen Osten. Mehrere Stunden später taucht auf dem flimmernden Highway ein Lastwagen auf, der sich von Argentinien aus nähert. Juan, der Matrose und Weltenbummler, der nun der Familie zuliebe Trucker ist, quält seinen MACK auf 4.748m und damit über den Paso San Francisco. Nun fahren wir in atemberaubendem Tempo auf abenteuerlichen Schotterpisten nach Westen, der sinkenden Sonne hinterher.