Skitour Berner Oberland
Nach drei Tagestouren auf umliegende Berge ging es in vier Tage mit Zelt und Rucksack vom Rosenlaui über die Wart zum Faulhorn und zurück.
In den Winterferien verbrachten wir neun Tage mit Tourenskiern im Berner Oberland. Für drei Tage schlugen wir ein Basislager in einem alten Heuschober auf und unternahmen Tagestouren auf die umliegenden Berge. Dann ging es weiter mit Rucksäcken und Zelten vom Rosenlaui über die Wart zum Faulhorn und wieder zurück.
Prolog
Die Vorbereitungen hatten wir bereits vor Weihnachten abgeschlossen. Das Material ist samt Lawinenausrüstung dank der Marburger Sektion des Alpenvereins beisammen, der Pemikan in diversen - diesmal vegetarischen - Geschmacksrichtungen vollendet und die Trautwein´sche Küche wieder halbwegs entfettet. Außerdem haben wir es uns nach heftigen Diskussionen wieder einmal nicht nehmen lassen, in alter Tradition eine Pulka zu bauen. Dazu wurde das Basismodell “Expedition” von Globetrotter umgebaut und zu einem High-End-Schlitten perfektioniert; mittlerweile bereits unsere dritte Pulka - natürlich wieder besser, größer, leichter und vor allem oranger. Nachdem Weihnachten im Kreise der Familien überstanden war, wurde es ernst. Richard, der Hochgebirgsjäger und Bergretters a.D., hat uns fachkundig auf die Lawinenprophylaxe und den Ernstfall einer Verschüttung vorbereitet. Packen. Doch noch Sachen organisieren, die längst schon hätten da sein sollen.
1. Tag, 28. Dezember 2005
3.30 Uhr. Aufstehen. 4.00 Uhr losfahren. Warum eigentlich in die Schweiz, wo doch Deutschland gerade im Schneechaos versinkt? Nun ja, mit dem Hänger können wir sowieso nicht schnell fahren. In Freiburg werden wir nach ausgiebigem Frühstück bei Richard Opfer der modernen Autotechnik. Eine Sicherung veranlasst die Anzeige penetrant darauf hinzuweisen, dass das Fahrzeug aufgrund eines “Motorschadens” unverzüglich in die Werkstatt müsse. Wir verbringen einen langweiligen Nachmittag mit ranzigen Keksen bei VW im Freiburger Industriegebiet und schauen uns hässliche Neuwagen an. Alles wegen eines blöden Kurzschlusses an der Anhängerelektrik. Am späten Abend lassen wir den Brienzer See westlich hinter uns und biegen nach Meiringen ins Reichenbachtal ab. Wir schaffen es mit Hänger und ohne Ketten bis zum Gasthaus Zwirgi, wo wir im Lichte großer Scheinwerfer auf dem Parkplatz das Auto ausladen und uns umziehen. Wir erregen - mangels Gästen - bald die Aufmerksamkeit des Wirtes, der von vorneherein ausschließt, dass unser Fahrzeug auf dem großen, leeren Parkplatz stehen bleiben könne. Als wir unauffällig auf dem Sträßchen vor dem Lokal den Kuchen von Romans Oma verdrücken, gehen die Pferde völlig mit dem braven Manne durch: Ob wir das auch bei uns zuhause in Deutschland machen würden, so einfach vor einem “Reschtaurant” zu essen. Nein das machen wir eigentlich nur in der Schweiz, denken wir uns. Das sei ja eine unzumutbare Belastung für die Infrastruktur und nicht zuletzt “eine Frage der Ethik”. Ja, ja ihr Schweizer, solange wir Deutschen zahlen, seid ihr ganz nett zu uns - von 1933 bis 1945 wart ihr ja besonders freundlich; und wenn nicht, dann Gnade uns Gott… Wir amüsieren uns ganz gut dabei und lassen ihn auch bald in Ruhe. In knisternder Kälte geht es noch etwas das Sträßchen hinauf. Bald quartieren wir uns im Kellergemäuer eines Forsthauses ein.
2. Tag, 29. Dezember 2005
Spät ist es, als wir aufstehen, noch etwas Kuchen verdrücken und weiter aufsteigen. Das Rosenlaui lassen wir mitsamt der Straße bald links liegen und machen eine erste praktische Lawinenübung. Die Neulinge stellen sich ziemlich gut an. Roman jedoch macht uns Sorgen. Er ist mit dem Knie auf seinen Ski gefallen und flucht entsprechend. Nach der Schwarzwaldalp wird es steiler und die negativen Eigenschaften einer Pulka machen sich bemerkbar - es ist am Berg extrem anstrengend. Wir gelangen abends noch bis zu den Matten von Bidem (1705m), wo wir uns in einem einladenden Heuschober, respektive Kuhstall, einquartieren. Hier war schon länger kein Vieh mehr und es ist sowieso alles gefroren.
3. Tag, 30. Dezember 2005
Roman hat es plötzlich sehr eilig. Er meint, es habe keinen Zweck mit seinem Knie und verlässt uns gen Heimat. Schade. Das Wetter ist schön und sehr kalt. Wir Verbliebenen lassen es uns nicht nehmen, eine eindrucksvolle Tour auf den Gemschberg (2659m) zu machen. Es geht zunächst an Fichtengrüppchen vorbei Richtung große Scheidegg (1962m), vor der wir aber westlich ansteigen. Vor der Gipfelflanke erwartet uns ein heftiges Steilstück, das nur kraxelnd mit den Skiern auf dem Rücken zu meistern ist. Bei der Abfahrt machen unsere Bretter des Öfteren stürmische Bekanntschaften mit Steinen, in einer Rinne finden wir allerdings zwischenzeitlich sogar etwas Pulverschnee. Die Tour wäre lawinentechnisch bei mehr Schnee nicht möglich gewesen - kein Grund also sich zu beschweren.
4. Tag, 31. Dezember 2005
Heute machen wir eine sanfte Tour auf unseren Hausberg, den Cheerhubl (2216m). Es ist ein sonniger und warmer bis heißer Tag. Beim Aufstieg am Südhang ist T-Shirt-Wetter. Als wir abfahren, ist der Schnee hitzebedingt nicht mehr ganz das Wahre. Im Wald finden wir noch ein paar schöne Stellen. Abends holen Pino und Richie Hörbe beim Restaurant Schwarzwaldalp ab, der gestern sein verfrühtes Kommen angekündigt hat. Es läuft wie am Schnürchen, denn wir haben gerade die Felle aufgezogen, als er das Sträßchen heraufgeglitten kommt. Wieder oben in unserem Domizil, wird gekocht, gegessen und vorgelesen - wie übrigens jeden Abend, Sylvester mit eingeschlossen. Dann beschließen wir aufgrund des tristen Wetters, den Jahreswechsel in den Schlafsäcken schlummernd an uns vorbeiziehen zu lassen. Sehr angenehm.
5. Tag, 1. Januar 2006
Noch angenehmer ist, ohne den alljährlichen Kater ins neue Jahr zu starten. Wir machen gleich eine Eingewöhnungstour auf das Schrybershörnli (2517m) für Hörbe, der sich bestens schlägt, wenngleich die Skischuhe und die Steighilfen ihm noch nicht so ganz zusagen. Unterhalb des Gipfels ist der Hang so geil, dass wir das oberste Stück noch mal wieder hochsteigen - Powder!!! Wieder ‚zuhause´ gilt es, die Sachen zu packen: Wir wollen morgen über die Wart nach Westen; die Pulka bleibt da.
6. Tag, 2. Januar 2006
Das Wetter ist schlecht und es schneit. Wir gehen trotzdem los. Allerdings wird es immer schlimmer, denn es zieht mehr und mehr zu und der Wind wird unangenehm, peitscht uns die dichten Schneeflocken ins Gesicht. Das Thermometer zeigt -10 Grad. Nach einer etwas zugigen Müsliriegelpause wird die Orientierung fast unmöglich. Ich bin mir zwar sehr sicher, dass wir kurz vor dem Sattel, der Wart (2704m) sind, das Risiko im Falle einer Fehleinschätzung ist aber zu groß. So bauen wir auf einer halbwegs planen Fläche bei Eiseskälte die Zelte auf. Da niemand freiwillig draußen nächtigen möchte und Hörbe und Mischa beim Schnicken gewinnen, müssen Mathis, Pino und ich im guten alten Tatonka-Zweimann-Tunnelzelt schlafen; sehr kuschelig und feucht…
7. Tag, 3. Januar 2006
Als wir uns recht spät überwinden, aus den klammen Schlafsäcken zu kriechen, ist das Wetter super und die -17 Grad kalte Luft erfrisch sofort unsere Lungen. Wir stellen fest, dass uns nur noch 100 Meter bis zur Wart fehlen. Nachdem wir gefrühstückt und mit aufwendigen Procedere - bei diesen Temperaturen braucht jeder Handgriff eine gewisse Ãœberwindung - endlich loskommen, werden wir oben mit einer beeindruckenden Aussicht über ein endloses Wolkenmeer mit daraus majestätisch hervorragenden Gipfeln belohnt. Da sich die Wolken etwas auflösen, entschließen wir uns zur Abfahrt nach Oberberg (1911m), die es in sich hat und nur zusammen mit Ortskundigen bei geringer Lawinengefahr zu empfehlen ist. Manche finden´s cool, andere weniger, auch aufgrund der kontaktfreudigen Steine. Von Oberberg geht´s noch etwas weiter das Gießbachtal hinunter und wir finden nach einer Fehlinterpretation der Karte (ein Weg entpuppt sich als Leiter) mit daraus hervorgehendem nochmaligen Anstieg und anspruchsvoller Abfahrt über einen Lawinenkegel eine schöne Almhütte im Bödeli (1625m) in deren Kuhstall wir auf herrlich weichem Heu nächtigen.
8. Tag, 4. Januar 2006
Als wir aufstehen ist das Wetter nicht besser als es sein kann, beim Loslaufen haben uns allerdings die lockeren Wolken, die vom Brienzer See aufsteigen, eingeholt. Durch einen herrlichen Wald legen wir unsere Spitzkehren das Fangisalptal nach Westen hinauf. Hier ist eine überlegte Routenwahl erforderlich und man stößt an die Grenzen des mit Tourenski Begehbaren. An den Flanken des Schwabhorns (2374m) verlassen wir das Tal und beim Anstieg brechen wir durch die Wolken. Im Faulegg (2282m) gibt´s Mittagessen mit Blick aufs Sägistalseeli. Es folgt der mit Abstand krasseste Hang unserer Tour mit durchaus gefährlichen Stellen und durchweg als Kraxelpartie. Auch hier wieder ist des einen Freud` des anderen Leid… Am Faulhorn (2681m) werden wir mit einer wunderschönen Abendstimmung vor dem Panorama der Viertausender belohnt. Es folgt eine Mondscheinabfahrt in gutem Powder von der südlichen Faulhornflanke zur Schutzhütte am Bachalpsee. Dort angekommen müssen wir erst die mannshohe Wächte vor der Tür wegschaufeln, bis dann bald ein gemütliches Feuer knistert. Draußen umgibt uns ein unglaublich klarer Sternhimmel.
9. Tag, 5. Januar 2006
Heute ist selbst im Tal bestes Wetter. Als die ersten Leute die Spur vom First heraufkommen, verlassen wir die Hütte und steigen über den Häxeliesee (2339m) mit kurzen Abfahrtsintervallen bis kurz vor die Wart auf, wo wir bei traumhafter Sonne Mittag machen - hinter uns das imposante Schwarzhorn (2927m), rechts die Wilgärst (2889m) und vor uns unzählige weitere weiße Gipfel und ein Stück Brienzer See. Von hier kann man fast die ganze Runde der letzten Tage überblicken: Wart - Oberberg - Bödeli - Fangisalptal - Faulegg - Faulhorn - Bachalpsee - Wart. Was nach dem abermaligen Ãœberschreiten der Wart folgt, ist die geilste und längste Abfahrt im besten Pulverschnee. Nachdem wir entschieden haben, es bei diesem phänomenalen Abschluss zu belassen, holen wir die Pulka am Kuhstall ab und fahren über die Schwarzwaldalp und das Rosenlaui die Straße entlang bis zum Wagen. Das Sliden an den langen ebenen Strecken ist ein gutes Abschlusstraining. Am Wagen angekommen, muss dieser erst einmal flott gemacht werden. Da ich beim Schnicken verliere, wird mir die heikle Aufgabe zuteil, das Gespann ins Tal zu bringen. Der Rest fährt mit Skiern ab, bis dorthin, wo gestreut wurde. Nachdem wir alles verladen haben, brechen wir auf Richtung Freiburg, wo wir die Tour mit einem leckeren Gelage (Gyros-Döner mit allem was das Herz begehrt) ausklingen lassen.
Aufstieg
Dein Atem friert. Im fahlen Grau liegt noch das stille Tal, doch auf den höchsten Spitzen tastet sich voran ein erster Strahl.
Im steilen Hang, bergan durch lichten Föhrenwald, legst du gekonnt die Spur. Sonne grüßt uns bald.
Der Gipfel naht, von wachsenden Wolken umwoben sind seine schwarzen Flanken, schau, gleich sind wir oben.
Die Felle ab. Wir sind am Ziel, du schreist, du lachst und bist verzaubert von der weißen Pracht.
Schwünge, zögernd erst und tastend, durchschneiden bald den reinen Schnee. Kühner werden dann die Kurven, im Tale drunten gleißt der See.
Richard
Während der Skitour im Berner Oberland hatten wir das erste mal eine Kamera dabei. Der Film stellt das Leben im “Kuhstall” dar, zeigt eine abenteuerliche Passüberquerung und absolut ungekonnte Abfahrten.
Kurz: Er macht Lust auf den Winter!